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Storytelling Tools: Charaktere – weißt du, wer hier spricht?

Storytelling, Storytelling, Storytelling – ein schier unerschöpfliches Thema. In den letzten beiden Posts der Reihe habe ich euch die Heldenreise komprimiert erklärt und dann diskutiert, wieso Helden im Social Web so leicht baden gehen. Was tun, wenn die HeldInnen im Alltag versagen? Eine Alternative ist die Arbeit mit Charakteren, die zweierlei erlauben soll:

Erstens: Charaktere sind ein gutes Vehikel, um sich greifbar vor Augen zu führen, wer eigentlich am Blog und den Social Media Accounts spricht. „Wer wohl, die Leute die den Account bedienen“ ist ganz offensichtlich eine zu kurz gegriffene Antwort. Spätestens, wenn es eine Organisation oder Marke ist, die ’spricht‘, ist es ausgesprochen hilfreich, sich diese als Charakter vorzustellen und auszugestalten.

Zweitens: Das Agieren im Social Web erfordert ein anderes Handlungskonzept als wir es von beispielsweise Kinonarrativen erkennen – der Vorwurf, dass auf Social Media nur Belanglosigkeiten geteilt würden, ist altbekannt.

Ich halte dagegen: Wer hier nur Belanglosigkeiten sieht, hat keine Blick für die kleinen Formen und Handlungen – und wird sich wohl auch schwer tun, im Social Web Resonanz zu finden. Worin kleinen Handlungen bestehen, lässt sich ebenfalls mit Hilfe der Charakterperspektive nachvollziehen. Fangen wir also an.

Charaktere: kein Held, aber unverwechselbar

Die grundlegende Frage zuerst: Was ist überhaupt ein Charakter? Im Vergleich zu Held oder Heldin gilt: Ein Charakter ist eine Figur, die nicht zwingend eine äußere und innere Reise durchläuft. Ein Charakter hat aber Einfluss auf die Handlung und interagiert mit anderen, ohne dabei beliebig zu sein oder im Hintergrund zu verschwinden.

Die Charaktere, die wir hier entwickeln wollen, sind dabei keine Film- oder Märchenfiguren, also auch nicht fiktional: ‚Charakter‘ dient uns hier vielmehr als Instrument, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie wiedererkennbar und nicht beliebig auf einem Social Media-Account gesprochen, gepostet, interagiert werden kann.

Dabei arbeite ich gerne mit folgender, simpler Definition mit zwei wesentlichen Komponenten:

Charaktere sind wiedererkennbare Figuren, die handeln können.

Wiedererkennbarkeit: Charaktere sind wiedererkennbare Figuren

Eben die Wiedererkennbarkeit ist ja das Charakteristische: What would Jesus/Cersei Lannister/Jon Snow do? Wenn wir in der Lage sind, eine jeweils entsprechende Antwort zu geben, dann haben wir verstanden, was das Charakteristische am jeweiligen Charakter ist. Und wenn wir uns bewusst werden, was dieses Charakteristische ist, dann können wir den Charakter auch benutzen. Beispielsweise könnten wir Jon Snow dann von Castle Black in eine Sitcom versetzen und wüssten, wie er sich dort benimmt. Genau das hat Seth Meyers sehr vergnüglich unternommen:

Solche Charakteristiken lassen sich auch für Social-Media-Accounts beschreiben: Wie spricht eine bestimmte Person auf Social Media? Worüber schreibt sie? Wie typisch ist der einzelne Post für diesen Account? Um ein richtig großer Twitter-Star wie zum Beispiel @NeinQuarterly (a.k.a. Eric Jarosinksi) zu werden, müssen die Tweets über einen solchen unverwechselbaren Charakter verfügen.

Gerade im Bereich der Online-PR kann es eine besondere Herausforderung sein, eine solche Wiedererkennbarkeit zu erreichen. Denn zum einen werden solche Accounts nur selten von nur einer einzigen Person betrieben, die sich auch selbst dort repräsentiert. Und zum anderen sind es nicht nur verschiedene Personen, sondern oft auch Organisationen, die solche Accounts bedienen  (wie etwa Angestellte beim Kunden plus Personen beim Dienstleister). Was man hier vermeiden möchte ist ein Bauchladen aus Themen, Tonalitäten und Stimmen. Stattdessen soll ein bestimmter typischer Charakter, typische Facetten, eine wiedererkennbare Stimme zum Vorschein kommen.

Wie kann man nun planmäßig zu einer solchen unverwechselbaren Stimme kommen? Eine Anweisung wie ‚Sei einzigartig und unverwechselbar‘ ist bekanntlich schwer umzusetzen. Man muss schon wissen, in welchem Medium sich diese Unverwechselbarkeit äußern soll. Hier hilft uns die zweite Komponente weiter: Ein Charakter soll handeln können und dabei unverwechselbar sein.  Was heißt aber nun ‚handeln‚ – erstens im Kontext von Storytelling und zweitens auf Social Media?

Handeln auf Social Media: Charaktere können handeln.

Eine Handlung im Kontext von Storytelling heißt ganz allgemein, dass etwas einen Ausgangszustand und einen Endzustand hat – dazwischen passiert die Handlung (Aristoteles, ick hör dir trapsen: „Ein Ganzes ist, was Anfang, Mitte und Ende hat.“).

Übertragen auf den Kontext von Social Media gewinnt wiederum das Prinzip der Verkleinerung. Bei ‚Handlung‘ geht es nicht mehr um große Spannungsbögen, sondern um kleinste Veränderungen, also um Fragen wie: Was ist anders? Hat sich etwas getan? Ist etwas Neues passiert?

Wer selbst auf Social Media agiert, wird vermutlich feststellen, dass er/sie schon oft Dinge gepostet hat, die dieser Regel direkt entsprechen:

  • Friseurbesuch: vorher und nachher.
  • Es kam ein Paket vom Online-Kleiderhandel und man postet ein Bilder von sich im roten, braunen und grünen Gewand – welches sitzt besser?
  • Kochen und backen: Immer eine Photo Opportunity – was waren die Zutaten und was habe ich anschließend daraus gemacht? Wie viel blieb übrig, als Beleg dafür, wie köstlich es war?)

Anbei zur Illustration zwei alltägliche, authentische Posts unserer Julia Petschinka a.k.a JuPeClick – und ich schwöre, dass ich diese so vorgefunden und sie nicht etwa gebrieft habe. Das erste illustriert die Verwerfungen und Veränderungen des Winters in einem einzigen Bild:


Das zweite Bild ist ein Fall eines Social-Media-Dauerbrenners: ‚Wie haben wir früher ausgeschaut?‘ (der Vergleich mit dem heute und somit die Veränderung ergibt sich durch den Kontext):

Jede Veränderung ist eine ‚Neu-heit‘

Doch nicht nur im Bild sichtbare Veränderungen sind relevant: Alles, was irgendwie neu ist, zählt. Gerade im menschelnden Bereich von Social Media geht es um die Kommunikation von Ereignissen im kleinsten Maßstab. Der von Kulturpessimisten vielgescholtene Wurstsemmel-Tweet ist in Wahrheit nicht irrelevant, sondern eben ein solches kleines Ereignis.

Wenn Twitter uns vor dem Posten „Was gibt’s Neues?“ fragt, dann ist das eine Frage, die sich auf diesen kleinen Maßstab bezieht.  „Was machst du gerade?“ will ebenso Facebook auf deutsch von uns wissen. Auf Englisch interessiert sich das Zuckerberg-Interface selbst für die kleinen Ereignisse in Gedanken: „What’s on your mind?“

Handeln = agieren und reagieren

Umgekehrt handeln nicht nur diejenigen, die etwas posten, sondern auch die, die darauf reagieren. Es ist daher auch kein Zufall, dass Facebook mittlerweile ein breites Repertoire gefunden hat, um den Reaktionen der Reagierenden einen interface-seitigen Ausdruck zu geben: Früher ‚like‘-te man nur, heute lacht man, staunt man, ist wütend oder traurig:

Ein Facebook-Post über den Einzug ins neue Datenwerk-Büro

Bis hierher ein kurzer Recap: Ein Charakter ist, wer wiedererkennbar handelt, und das heißt auf Social Media: wer uns wiedererkennbar im Kleinen berichtet, was neu und interessant ist, was sich verändert hat.

Damit wissen wir jetzt, wie sich ein Charakter äußern kann, aber noch nicht genau, was unser Charakter ist – und daher auch nicht, wie wir ihn gezielt benutzen können. Im nächsten Teil findet ihr Hilfe bei der Umsetzung: Charaktere für Social Media: Ein Leitfaden.

Du hast gerade keine Zeit für die Anleitung, aber jetzt schon Fragen? Dann schreib uns ein Mail oder hinterlasse uns gleich hier einen Kommentar. Wir sind datenwerk und wir lieben die Herausforderung:)

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