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Vom Wert des Würfelns für den viralen Hit

Wenn das Virale das ist, was ansteckt: Wie kann man es dann schaffen, ansteckende Inhalte zu produzieren? Mit dem Sonderfall der viralen Selfies habe ich mich in einem *klingeling* peer-reviewten Paper auseinandergesetzt und die Quintessenz ist: Würfeln hilft!

 Aber zunächst einmal Grundsätzliches zum grundsätzlichen Dilemma: Alle wollen den Viral-Hit. Kaum einer kriegt ihn und wenn doch, ist das oftmals einem Shitstorm zu verdanken. Was heißt eigentlich: ‚viral‘? Und wie erzeugt man leicht(er) viralen Content?

Viral oder memetisch?

Immerhin eines ist gewiss: Wer ‚viral‘ sagt, meint oft ‚memetisch‘ und umgekehrt. Während viral vor allem ein Aspekt der Verbreitung ist – etwas verbreitet sich irre schnell und hüpft dabei von Netzwerk zu Netzwerk, statt nur in einer Bubble zu bleiben -, ist ‚memetisch‘ ein Ausdruck für die Klassifizierung von sich ähnelnden Inhalten.

Mem = viele

Denn von einem Mem spricht man erst dann, wenn man es mit einer Gruppe Inhalten zu tun hat, die Interpretationen oder Variationen füreinander darstellen. Erinnert sich noch jemand an Catbearding? Im Frühjahr 2013 porträtierten sich tausende Social Web UserInnen mit einem Katzentier vorm Gesicht – Katzennase genau vor der eigenen Nase, so dass es aussah, als wäre man halb Mensch, halb bärtiges Tier. Das ist ein Mem – erst durch die Wiederholung der Anordnung durch viele entsteht das Gesamte.

Viral = 1

Viral abgehen kann allerdings auch schon ein einzelner Post, ohne dass sich Varianten darum bilden. Das viralste Video auf Facebook 2017? Am meisten Interactions generierte Luis Fonsis Sommerhit „Despacito“, gefolgt von Ed Sheerans „Shape of You“ – Musikvideos sind nicht unbedingt das, woran man denkt, wenn man von Memes spricht.

Viral und memetisch sind also zwei verschiedene Schuhe – die aber oft miteinander getragen werden. In der Sprache der Wissenschaft – im Fall der Kommunikationswissenschafterin Limor Shifman – klingt das so:

“Whereas the viral comprises a single cultural unit (such as a video, photo, or joke) that propagates in many copies, an Internet meme is always a collection of texts. You can identify a single video and say “This is a viral video” without referring to any other text, but this would not make much sense when describing an Internet meme.“ (Shifman 2014: 40; Hervorhebung im Original kursiv).

(Apropos Mem)

(Wenn ich hier Mem schreibe, meine ich immer nur Internet-Mem. Die Mem-Theorie, wie Richard Dawkins sie geprägt hat, hat einen entscheidenden Haken: Es gibt keine materielle Basis für Meme – im Gegensatz zu Genen, wonach die Theorie modelliert ist. Als Modell, um die Ähnlichkeiten von etwas zu benennen, ist sie jedoch außerordentlich instruktiv, was auch ihren Erfolg erklärt. Kein Wunder, dass man die Internet-Meme Meme genannt hat, und nicht etwa Imitati, Similae, etc., was ähnlich logisch wäre.)

Der Viral-Hit der kleinen Frau

Kennt ihr das, wenn man einen Tweet oder einen Post geschrieben hat und das Gefühl hat, das könnte jetzt aber durch die Decke gehen? Wie man danach seine Mentions/Notifications checkt, bis es langsam dämmert: Na gut, das war wohl doch wieder nix. Freilich: Was ist ein normaler Post, wo beginnt es viral zu werden? Oder, wie @FrauSowieso neulich auf Twitter schrieb:

Ich verstehe gar nicht, wie Menschen ruhig bleiben können, deren Tweeds z. B. über 1000 Likes bekommen.
Ich feiere meinen ersten Tweed mit >200 Likes und spüre einen Hauch von Influencer in mir


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Denn letztlich sind die Unterschiede zwischen den ganz großen Social-Media-Erfolgen und alltäglichen Posts graduell. Was man mit Viral-Hit im Alltag meint, sind die statistischen Ausreißer, die per definitionem ein Sonderfall sind. Im Grunde haben Viral-Hits und Alltags-Geposte jedoch sehr viel gemeinsam und das wird offensichtlich, wenn man seine Aufmerksamkeit nicht auf das Besondere richtet, sondern auf das Generelle: Warum reagiert überhaupt irgendjemand auf irgendetwas im Social Web?

Eben das interessierte mich im Artikel „Viralität als Sonderfall“ , den ich hier popularisiert verarbeite. Zitat aus dem Abstract: „Am Beispiel des Selfies werden [im Folgenden] einige Techniken diskutiert, die dazu beitragen, dass überhaupt (und nicht nicht) kommuniziert wird.“

Würfeln, bis es passt

In diesem Blogpost gehe ich nur auf einen Aspekt ein: die aleatorische Serialität. Die übrigen, die Kommunikation erleichternden Aspekte könnt ihr im gesamten Artikel open access nachlesen.

Aber wieso würfeln?  „Gott würfelt nicht“, wie Einstein mehr oder weniger sagte, soll als Redensart ausdrücken, dass in der Welt nicht nur der Zufall waltet. Aleatorische Kunst ist wiederum eine solche, bei der nur der Rahmen der Ereignisse, nicht aber die Ergebnisse fix vorgegeben sind.

Wann aber würfeln wir im Social Web?

Zum Beispiel beim Selfies machen. Selfie killed the snap shot, könnte man behaupten, denn echte Schnappschüsse gibt es nicht mehr: Nicht bloß der Moment, sondern der perfekte Moment soll eingefangen werden und das gelingt am besten, indem man nicht ein, sondern viele Fotos  macht (= mehrmals würfelt) und dann aus dem erwürfeltem Ergebnis eine Auswahl trifft.

Serialität der ‚digitalen Knipse‘

Ich wette, ihr alle habt ähnliche Bilder wie diese auf eurem Telefon:

Diese Bilder sind erkennbar Teil einer Serie. Dennoch ist es nicht die Art von Variation, die wir von Memen kennen. Hier arbeitete kein Kollektiv am Bild, sondern ein und dieselbe Person: Das zentrale Motiv ist dasselbe, man erkennt, dass die Bilder zeitnah aufgenommen wurden, denn die Person ist gleich gekleidet, die Tageszeit ähnlich.

Diese Bilder wurden übrigens nicht gestellt. Während des Schreibens des Artikels untersuchte ich meine eigenen Bildbestände und fand dort Serie um Serie. Den Weg in die (kleinere order größere) Öffentlichkeit fand aber jeweils immer nur ein einziges Bild.

Kamera trifft portable Media trifft Netzwerk

Hier trifft die Möglichkeit zur Serienproduktion, die wir der ‚digitalen Knipse‘ verdanken auf die Möglichkeiten von Smartphone-Technologie und Social Apps: Nicht nur können viele Bilder auf einmal gemacht werden, ohne dass die Begrenztheit des physischen Mediums eine besondere Rolle spielt (früher war bei 36 Bildern Schluss). Sie müssen nicht nur nicht entwickelt werden, sondern können auf demselben Gerät, das wir immer tragbar bei uns haben, den vielfältigen Kommunikationsnetzwerken zugeführt werden, von denen wir Teil sind. Oder von denen wir Teil werden, indem wir regelmäßig posten und uns so Nische und Publikum finden.

Jeder Tweet ein Los

Bei der Textproduktion ist das tatsächlich nicht viel anders. Statt Jahre an einem Roman zu werkeln (und unterdessen drei in der Schublade zu versenken) hauen routinierte TwitterInnen Tag um Tag Tweet auf Tweet raus. Irgendwann wird wohl einmal ein Sieger dabei sein – oftmals gewürfelt ist halb gewonnen. (Ja, auch ich habe so einen Erfolgstweet, den ich mir fame-süchtig auch noch aufs Profil geheftet habe, obwohl sein Thema mich nun schon länger nicht mehr beschäftigt.)

Virales Potenzial im Kleinen – im Sinne einer Erhöhung der Wahrscheinlichkeit, dass jemand mit mir kommuniziert – kann aber besonders dann gedeihen, wenn aleatorische Serialität auch noch auf Infrastrukturen des Sozialen trifft.


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Infrastrukturen des Sozialen

Konkret heißt das, dass es nicht genügt einen Text zu schreiben oder ein Foto zu machen. Ein Grundkennzeichen des Sozialen sind, like it or not, Hierarchien. Technische Infrastrukturen des Sozialen sollen es also ermöglichen, einzelne Inhalte gegenüber anderen hervorzuheben.

Das tun sie, indem sie z.B. gewährleisten, dass

  1. der Inhalt von anderen gelesen bzw. gesehen werden kann.
  2. andere den Inhalt bewerten können.
  3. dieser Inhalt um so sichtbarer wird, je mehr LeserInnen ihn gut finden.

Medientechniken, die dies ermöglichen, sind Grundbestandteil aller Social-Media-Plattformen. Sie sind bekannt z.B. als:

  1. Followers, Subscribers, Friends
  2. Faves, Likes, Retweets
  3. Visibility und Ranking-Algorithmen

Aleatorische Serialität ermöglicht die semi-industrielle Produktion von besserem (aber nicht zwingend hochwertigem ;-)) Content. Ins solchermaßen technisch ausgestattete Netzwerk gekippt, wird dieser nochmals aus-, auf- oder abgewertet. Am Ende dieses Bearbeitungsprozesses steht möglicherweise ein viraler Hit – dafür muss die Qualität des Inhalts ebenso stimmen wie die Größe und die Mechanismen der Netzwerke, die er durchläuft.

Wie würfelst du am liebsten?

Und wie hältst du es mit der Aleatorik? Suchst du deine Motive lang und sorgfältig aus oder zückst du gleich mal bei einer Gelegenheit dein Smartphone? Legst du Sorgfalt darauf, langüberlegtes zu schreiben oder vertwitterst du alles, was dich umgibt? Wie, glaubst du, machen es heimische Twitterstars?

Einer persönlichen Einschätzung entschlage ich mich hier, damit ich niemanden in ihrer oder seiner Überlegung beeinflusse. Fragen und Antworten wie immer gerne gleich hier in den Kommentaren oder per Mail an office@datenwerk.at.

Artikel:

Jana Herwig, „Viralität als Sonderfall: über Selfies, Serialität und die Wahrscheinlichkeit der Kommunikation im Social Web“. In: Originalität und Viralität von (Internet‐)Memes, Sonderheft kommunikation @ gesellschaft, 19 (2018). Hg. v. Georg Fischer & Lorenz Grünewald‐Schukalla, 19 Seiten, URI http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-56025-3.

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